BERLIN ALTERNATIV FASHION WEEK  // Jule Waibel

Vier Tage auf der Berlin Alternative Fashion Week, vier Tage mit Designerin Jule Waibel. Für Hauptsponsor airberlin präsentierte die Stuttgarterin, die in London lebt und arbeitet, eine Spezialanfertigung aus Boarding Pässen. Außerdem schickte sie ihre bezaubernden Faltkleider bei der REUSE:it Show über den Laufsteg. Zwischen Catwalk und neuen Foliensträhnen führte sie uns in ihr entfaltetes Universum ein.

Wenn man Jule Waibel fragt, was sie tut, ist ihre Antwort: Ich falte. Das kommt so selbstverständlich, als würde sie sagen „ich bin Lehrerin“ oder „ich repariere Fahrräder“. Aber wofür auch weitere Erklärungen? Jules Kunst und Handwerk versteht man ohnehin viel besser, wenn man sich anschaut, wie sie aus meterlangen Bahnen Papier oder Seidenstoff kleine Kunstwerke entstehen lässt:

UNFOLDED BOARDING PASSES from Jule Waibel on Vimeo.

„Für das Airberlin-Dress habe ich ingesamt 400 Boarding Pässe verarbeitet“, erklärt Jule den Journalisten, Designern und Wichtigen beim VIP-Opening, bei dem es erstmals präsentiert wird. Alle sind völlig aus dem Häuschen. Das mag in der Natur der Fashion-Community liegen, hängt aber vor allem mit Jule und ihrer Arbeit zusammen. „Es ist schon verrückt, wie die Menschen auf die Faltungen reagieren! Sie haben irgendwie eine eigene Schönheit, jeder mag das. Falten ist eine so alte Technik und trotzdem ist man immer wieder fasziniert“, sagt sie. 

Uns geht es nicht anders. Vielleicht ist es die Mischung aus Symmetrie, Ästhetik und Kindheitserinnerungen an Papierschiffchen. Verstärkt durch die farbigen Airbrush-Effekte, die zusätzliche Tiefe geben, entfalten die Kleider ihre ganze Faszination dann in der Bewegung: Aus einer 2D-Papierbahn wird eine lebendige 3D-Form – durch bloßes Falten. Das ist einfach wunderschön anzusehen. Wer Sinn für Kreativität und Harmonie hat, muss ins Schwärmen geraten!

http://www.julewaibel.com/Folded-textiles

Am Tag nach dem VIP-Opening steht die Modenschau im Rahmen der REUSE:it Show an. Im Berliner Postbahnhof präsentiert Jule ihre Papierkleider und auch Kleider aus Seidenstoff. Für ihre Anreise mit dem Flieger alleine aus London, waren die Kollektionen schön sauber in zwei Koffern verstaut. „Das ist das Praktische an den Kleidern, gefaltet nehmen sie kaum Platz weg“. In diesem Zustand haben die Kreationen etwas Skurriles, ihre Form ähnelt ungeöffneten, verdrehten Lampions. Als hätte sie noch nie etwas anderes gemacht, löst Jule vor der Show die Gummibänder, kriecht hinein in die Falt-Kokons und schiebt sie, Wabe für Wabe, in ihre Form. Dann warten die Kleider auf ihren Auftritt, stehend aufgereiht wie eine Truppe Origami-Schachfiguren.

 

Faltung und Schnitt sind bei Jule eins: „Ich habe unfassbar lange den Grundschnitt entwickelt, das war noch für meine Abschlussarbeit am Royal College of Art. Ich hatte diese Faltengebilde und wollte unbedingt etwas damit machen! Da fängt man quasi bei Null an. Also habe ich das Kleid auf meinen eigenen Körper geschnitten. Zu Anfang hatte es auch mal Arme. Ich habe viel ausprobiert, bis ich da ankam, wo ich heute bin.“ Eine große Rolle spielte auch hier wieder die Transformation: „Ich musste rausfinden, auf welche Weise und mit welchem Schnitt sich die Kleider in Bewegung bringen lassen. So schauen sie einfach am besten aus! Weil ich ja noch keine Models hatte, musste ich das selbst machen. Ich habe mich gefilmt und geübt, wie die Falten gut zur Geltung kommen. Da gibt’s echt ganz fiese Videos!“

Noch den Papierkleidern kamen die Seidenstoffe. In mehreren aufwendigen Arbeitsschritten wird das zarte Material plissiert. Eine Technik, die nur wenige Handwerksbetriebe anbieten – darunter die Londoner Manufaktur, die neben Jule auch Kundinnen wie Victoria Beckham und die britische Königsfamilie hat. Die Papierschnitte dienen dabei als Folder, zwischen denen die Seide unter Hitze gepresst wird. „Seide und Papier verhalten sich völlig unterschiedlich, das macht es spannend. Man kann das Seidenkleid umgedreht tragen und es transformiert sich plötzlich ganz anders.“ 

Aktuell hat Jule Anfragen aus der ganzen Welt: Features in Magazinen, die New York Times, Schaufenster für Bershka. Wo es hingehen soll, weiß sie: „Ich will, dass das groß wird.“ Ihre Mission kann man auch auf Instagram nachlesen: she wants to unfold the universe. 

„Ich entwickle die Präsentation immer weiter. Mir wird hier wieder klar, dass meine Sachen so skulpturell gedacht sind, dass sich das auch in der Schau zeigen muss. Vor allem die Papierkleider sind ja nicht wirklich Kleidung für jeden Alltag. Sie tragen auf und so weiter. Bei den Seidenkleidern ist das schon etwas anderes. Aber darum geht es in der Show auch nicht. Man soll sehen, dass man damit spielen kann, die Faltungen aufgehen und sich wieder zusammenziehen. Teilweise haben die Designer hier richtige Theaterstücke aufgeführt. Ein bisschen was kann ich mir da schon abschauen“, sagt Jule nach der Show. Tatsächlich macht die Alternative Fashion Week ihrem Namen alle Ehre: wilde Zusammenstellungen, kabarettistische Gewänder, knallbunte Retro-Mode, Expression vom Feinsten eben. Das ist Geschmacksache und man versteht, dass die Tragbarkeit der Mode hier definitiv nicht im Vordergrund steht. Jule hebt sich dazwischen unter anderem durch ihr Understatement ab: „Das ist eigentlich nicht meine Welt, ich bin keine Modedesignerin. Ich falte. Und eben auch Kleider.“ Ihr unfolded universe und die Fashion-Welt sind manchmal Lichtjahre voneinander entfernt, so als träfe der Kleine Prinz auf Starship Troopers. 

https://youtu.be/S0jCtsNGMOw?list=PL200TWZEeU3GW_tSM-3SO3ph39pykxQWT


Am Tag nach der Show wollen wir uns erstmal einen Besuch beim Friseur gönnen. Neue Strähnchen zu Berliner Preisen – da können London und Stuttgart nicht mithalten. Zurück aus dem Faltenuniversum stellen wir allerdings fest, dass es ungefähr einer Mondlandung gleichkommt, am Samstagmittag einen Friseurtermin in Berlin-Mitte zu ergattern. Nach dem vierten Anlauf sind wir bereit aufzugeben, wagen uns aber noch in einen letzten Laden am Rosenthaler Platz und siehe da: Nicht unser Wunsch-Coiffeur, aber die Strähnchen sitzen.

Mit Alu-Helm auf dem Kopf, berichtet Jule über die kommenden Schritte: „Was es als nächstes von mir zu sehen gibt, entscheidet sich gerade. Das ist ein Prozess. Man kann ja einfach alles falten! Ich komme aus dem Produktdesign, Möbel und verschiedene Materialien faszinieren mich. Meine Cones zum Beispiel oder die Teppiche. Vielleicht auch Uhren oder Vasen – mal sehen!“ Im Stuttgarter Design Supermarkt kann man bereits einen ihrer Cones bewundern.

Nach dem Friseur geht’s zurück zum Postbahnhof, wo wir Jules Kollektion abholen. Leider unterlief den Veranstaltern ein Missgeschick und bei Jules Show fehlte ihr Name auf den Screens. Der Faszination hat das nicht geschadet. Während wir mit den Kleidern den Backstage-Bereich verlassen, wird sie mehrfach angesprochen. Die Falten fallen auf, selbst auf diesem Jahrmarkt der Roben und Kostüme. Ein bisschen eben wie von einem anderen Stern.

 

Text // Katrin Sikora
Bilder // Robert Hamacher